Besondere Methoden im Porträt: Rolfing

Rolfing: Ein unbekanntes Juwel der Körperarbeit

Besondere Methoden im Porträt: Rolfing

von Conny Dollbaum-Paulsen
(letzte Überarbeitung: 14. August 2015)

Die therapeutischen Genies des 20sten Jahrhunderts waren fast alle Männer - Dr. Ida Rolf,  1896 in New York geboren, war eine der ersten Frauen, die in Biochemie und Physiologie 1920 promovierte...und eine der ersten, die am Zusammenspiel von Körper und Seele, von Struktur und Bewegung forschte.

"Rolfing", deutsch gesprochen, ohne rollenes R und amerikanisch-englisch-gedehntes O, obwohl die Begründerin Dr. Ida Rolf () Amerikanerin war, führt den Untertitel "Strukturelle Integration".
Im Gespräch mit Brigitte Berendes aus Osnabrück, Heilpraktikerin und begeisterte Rolferin seit 20 Jahren, versuche ich dem Phänomen Rolfing auf die Spur zu kommen.

Sieben hoffentlich erhellende Fragen an die Fachfrau: 1. Jede Methode nimmt eine besondere Perspektive in der Betrachtung des Menschen ein - was ist der besondere Blickwinkel im Rolfing?
BB: Rolfing betrachtet die gesamte Körperstruktur des Menschen im Raum und seine Reaktion auf die Schwerkraft, die unserer Aufrichtung ein deutlicher Widerpart ist. Außer Balance zu geraten bedeutet, den einwirkenden Kräften der Schwerkraft nicht mehr mit Leichtigkeit und Flexibiltität begegnen zu können. Daraus entstehen auf der körperlichen Ebenen Schmerzen und Verspannungen.
Das Bindegewebe und besonders die Faszien, die ein großes, den gesamten Organismus miteinander verbindendendes Netzwerk bilden, spielen dabei eine wesentliche Rolle . Faszien reagieren auf vermehrte Anforderungen  mit zunehmender Verdichtung. Das dient zunächst der Stabilisierung, kann aber im Laufe der Zeit auch zu Verkürzungen und Verhärtungen führen. Indem wir Rolfer an den Faszien arbeiten, wirken wir diesem Prozess entgegen.

2. Wirkt Rolfing auch auf die Psyche?
In den 50iger Jahren, als Ida Rolfing die Methode entwickelte, war die Betrachtung von Körper, Seele und Geist als immerwährende Einheit noch nicht üblich sondern eher revolutionär. Nach der Rolfing-Idee kann ein frei beweglicher Organismus mit den Anforderungen der Umwelt flexibler und damit gesünder umgehen. Und das betrifft immer auch die emotionale und geistige Haltung.

3. Wird im Rolfing auch diagnostiziert? Und wenn ja: Was?
BB: Hier kann das Bild des Zeltes helfen: Es wird durch eine Mittelstange getragen und von allen Seiten durch Abspannseile stablisiert: vorne und hinten, rechts und links, oben und unten. "Falsche Züge", die im Körper durch Verspannungen der bindegewebigen Faszien entstehen, werden durch die Sichtdiagnose zu Beginn erfasst.

4. Sichtdiagnose.....????? Stehe ich da etwa nackt vor Ihnen?
BB: Nein, in Unterwäsche - dennoch ist dies eine Situation, die niemand so gern hat, so mit "Mängelblick" beguckt zu werden. Aber das ist weniger unangenehm als man meint: Wir sprechen miteinander, die Person bewegt sich und der Diagnoseblick ist ein freundlicher, die Patientin unterstützender. Und im Zweifel geht es auch natürlich auch angezogen - wichtig ist immer herauszufinden, an welcher Stelle das "Zelt" aus dem Lot geraten ist.

5. Was passiert bei einer Behandlung genau?

BB: Zunächst versuche ich durch das Anschauen, die wesentlichen "Verfestigungen" zu erfassen. Im Austausch mit dem Patienten entsteht daraus ein aktuelles Bild, verbunden mit einer Behandlungsidee. Die eigentliche Rolfingbehandlung gleicht einer tiefen Bindegewebsmassage - dabei werden Verhärtungen sanft gelöst. Man kann gezielt auf eine Erweichung, ein Schmelzen verhärteter und verkürzter Stellen hinarbeiten. Das ist der manuelle Aspekt.
Die klassische Rolfingbehandlung geht eigentlich über 10 Sitzungen - in meiner Praxis gibt es aber die unterschiedlichsten Behandlungsabläufe. Zentrales Anliegen dabei ist, die Selbstheilungskräfte wieder ins Fließen zu bringen. Der Untertitel "Strukturelle Integration"  macht diesen Aspekt sehr deutlich: Verhärtete Strukturen werden "erweicht", damit eine Re-Integration möglich ist.
Ganz wesentlich für das Rolfen ist der Impuls für die zunehmende Körper-Bewusstheit, die sich durch die lokale Arbeit an einem konkret "betroffenen" Gewebe entwickeln kann. Nehmen wir an, ich habe im Brustbereich gearbeitet - wie verändert sich mein Körpergefühl im Raum, wenn ich anschließend meinen Brustraum weite?
Oder der Schwerpunkt lag in der Halswirbelsäule: Wie stehe ich im Raum, wenn ich meinen Nacken aufrichte?

6. Tut Rolfing weh???
BB: Früher ja (sie lacht und erzählt von ihren eigenen Sitzungen vor beinahe 30 Jahren), heute zum Glück weitaus weniger.
Rolfing hat sich dem Zeitgeist gemäß entwickelt: Jede Behandlerin weiß, dass das Auslösen von Schmerz immer zu einer Gegenreaktion führt - und deshalb nicht hilfreich sondern kontraproduktiv ist. Rolfing ist sanft und vor allem: individuell. Der Patient, die Patientin ist immer frei und ChefIn des Geschehens, die Behandlung geht nie über Grenzen welcher Art auch immer.

7. Für wen ist Rolfing geeignet?

BB: Für alle, die an ihrer Haltung, im Grunde innen wie aussen, arbeiten wollen.
Für alle, die den Körper als Instrument betrachten, weil sie damit arbeiten, beispielsweise TänzerInnen, SängerInnen etc, oder auch Menschen, die nach einer Psychotherapie das Gefühl haben, im Körper sitzen noch Verfestigungen, die auf der seelisch-geistigen Ebene längst gelöst wurden.
Natürlich auch für Menschen, die  mit Schmerzen des Bewegungsapparates zu tun haben - allerdings ist es da wichtig, nicht in die "Wegmach-Falle" zu tappsen, denn im Rolfing geht es um den Impuls der Selbstorganisation und nicht um das Beheben einzelner Symptome.

Ich habe nach diesem Gespräch eine sehr viel deutlichere Vorstellung vom Rolfing als vorher...

Vielen Dank deshalb für dieses erhellende Gespräch an Brigitte Berendes, die sowohl in Osnabrück als auch in Bielefeld als Rolferin arbeitet.

Mehr zu Rolfing unter: www.rolfing.org

Kontaktdaten:
Brigitte Berendes in Osnabrück:
Rolandstr. 16, 49078 Osnabrück

Jeden Samstag in Bielefeld:
Prinzenstr.12, 33602 Bielefeld

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